In der Auseinandersetzung mit sound:frame, mit Musik, Visualisierung und deren Zusammenspiel mit anderen künstlerischen Disziplinen ist immer klarer geworden, wie sehr unterschiedliche Kontexte nach unterschiedlichen Herangehensweisen und Umsetzungen verlangen.
Im Ausstellungskontext ist es wichtig, künstlerische Positionen zu zeigen, die sich klar mit dem System Kunst, mit dem Konstrukt Ausstellung auseinandersetzen und sich darauf einlassen. Es gibt einige international herausragende audiovisuelle Künstler/innen, die ihren Ausdruck im Zusammenspiel von Musik / Sound und visuellen / digitalen Medien gefunden haben. Audiovisuelle Kunst bildet damit eine spezielle Nische in dem Konzept "Medienkunst", welches sich ohnehin nur noch mit Schwierigkeit definieren lässt. Zahlreiche Audiovisuelle Künstler/inn/en haben ihre Wurzeln nicht unbedingt in einem akademisch entwickelten Kunstsystem, etwa einer Medienkunstklasse, wodurch eine Positionierung am allgemeinen Kunst-Markt erst von außen erfolgen muss. Der Clubkontext, die Entwicklung elektronischer und neuer Musik spielen eine Rolle.
Multimediazweige auf Kunst- oder Fachhochschulen werden in diesem Feld immer bedeutender. In vielen Fällen bleibt jedoch nach wie vor erst offen, in welchen Kontexten die Künstler/innen schließlich ihren Ort finden. Einige haben ihre fixe Rollen definiert und eingenommen, wie etwa Monolake & Tarik Barri, Herman Kolgen, Jan Jelinek & Karl Kliem, Rainer Kohlberger und depart. Sie haben einerseits ihre fixen Plätze im Club- und Konzertbereich und ebenso im Kunstkontext und im Ausstellungsbereich andererseits. Sie lassen sich auf die jeweiligen Systeme ein und konzentrieren sich auf deren Charakteristika, ohne ihre eigene Handschrift dabei außer Acht zu lassen.
sound:frame festival 2012
Ausstellung «substructions»
12.04.2012 - 29.04.2012
MAK-Ausstellungshalle
Eine Kooperation von sound:frame und MAK
Die audiovisuelle Installation Fundamental Forces stellt ein kollaboratives Langzeit- Forschungsprojekt von Robert Henke und Tarik Barri dar.
Aus komplexen mathematischen Operationen entstehen Visuelle Formen, werden aus ihnen zu- grunde liegenden Codes generiert, transformiert und umgeformt und scheinen trotz ihres abstrakten Charakters dennoch lebendig zu sein. So werden sogar die abstraktesten Momente durch penible Anpassungen und Abstimmung glaubhaft und real, räumlich-auditive Tiefe der Installation erweckt den Eindruck von Unendlichkeit.
Der Titel Fundamental Forces basiert auf dem Konzept der vier Grundkräfte der Physik – den Fundamental Forces – (Gravitation, Elektromagnetische Kraft, Schwache Kernkraft, Starke Kernkraft) auch Fundamentale Wechselwirkungen genannt, die nicht weniger versuchen als die grundlegenden Hintergründe der Entstehung unseres Univer- sums zu erklären. Das Ziel ist ein allgemein gültiges Konzept zu finden, das uns nicht nur hilft die Dinge im Hier und Jetzt zu verstehen, sondern auch Welten die außerhalb unseres Erfahrungshorizont liegen.
Mittels der selbst programmierten, ständig verbesserten und erweiterten Software, ist das Projekt als sukzessive technologische und künstlerische Weiterführung der audiovisuellen Arbeit des Künstler-Duos zu sehen. Jede Aufführung stellt eine Momentaufnahme der aktuellen Entwicklung dar. Auf seinem neusten Stand kann Fundamental Forces als multiple High-Definition Projektion mit Surround-Sound bezeichnet werden. Die visuelle Komponente basiert auf Tarik Barris selbstgeschriebener Animations-Software „Versum“. Die auditive Komponente produziert Robert Henke mit Hilfe der Software MaxMSP, Max4Live und Ableton Live, an deren Entwicklung er ebenfalls selbst mitwirkte.
Robert Henke ist als Komponist und audiovisueller Performance- Künstler aktiv und mit einer Professur für das Fach Sound Design an der Universität der Künste in Berlin betraut. Sein Pro- jekt Monolake zählt zur Avantgarde elektronischer Clubmusik, be- kannt ist er auch als Co-Entwickler der „Ableton Live“ Musik-Software.
Seine Kunst definiert Henke als „potenziell endlosen und sich langsam entfaltenden immer- siven Zustand“. Das Publikum kann – meist frei von einem vor- bestimmten Zeitrahmen – ganz in die Klangwelten eintauchen. Seine Surround-Sound Konzerte und multiplen Video-Projekti- onen schaffen eine räumliche Erfahrung, die vom realen Ort der Performance entkoppelt zu sein scheint. Robert Henkes klangliche Entwicklung hat ihre Wurzeln gleichsam in der akademischen computerbasierten Musik als auch in der zeitgenössischen Clubkultur. Technologien wie die Wellenfeldsynthese oder das sogenannte Ambisonics Verfahren (Klangfelder werden dabei mit einer Vielzahl von Lautsprechern wiedergegeben) werden mit großformatigen, hoch auflösenden Projektionen ver- bunden, um Situationen totaler Überwältigung zu kreieren.
Henkes Performances und Installationen sind und waren unter anderem in der Tate Modern in London, im Centre Pompidou in Paris, im MUDAM in Luxemburg, im PS1 in New York, der Art Gallery von New South Wales in Sydney, im Experimental Media and Performing Arts Center (EMPAC) in Troy / NY und beim Sonar Festival in Barcelona zu sehen. Henke hat mehr als zwanzig Alben veröffent- licht und wurde für seine Arbeit „Layering Buddha“ beim Prix Ars Electronica 2007 ausgezeichnet.
Seit 1995 prägt „Monolake“ in wesentlichem Ausmaß die Berliner Techno Szene. Zurzeit tourt Robert Henke mit dem Material des letzten Monolake Album „Ghosts“. Unterstützt wird er dabei von dem niederländischen Künstler Tarik Barri, der Live in Echtzeit generierte komplexe Computeranimation zur Musik erzeugt. Der Sound von Monolake ist nur schwer einem genau definierten Genre zuzuordnen – „Music with a lot of bass, a lot of percussions and a wide and deep sound design.“ ist die Beschreibung die Henke selbst dazu abgibt.
Der Niederländer Tarik Barri ist als Komponist und audiovisueller Software-Entwickler tätig. Im Alter von sieben Jahren fängt er an, sich als Autodidakt mit dem Programmieren auseinanderzu- setzen und beginnt schließlich als junger Teenager mit dem Produzieren elektronischer Musik. Nach seiner ersten offiziellen Veröffentlichung im Alter von 21 Jahren bricht er das Studium der Biologischen Psychologie ab, um sich voll und ganz der Musik zu widmen. Tarik Barri studiert Sound Design an der Utrecht School of Music and Technology. Zu dieser Zeit entdeckt er, dass die Methoden der Musikkreation auch in Hinblick auf bewegte Bilder adaptiert werden können. Er beginnt, seine eigene Software zu programmieren, mit dem Ziel, neue Werkzeuge für audiovisuelle Performances, Kompositionen und datenbasierte Darstellungen zu schaffen.
Tarik Barri erzeugt mit seiner Software „Versum“ eine individuelle Ästhetik und erzeugt neue Synergien. All seinen Arbeiten liegt das Konzept zugrunde, Bild und Sound direkt zu koppeln, und damit audiovisuelle Gesamtkunstwerke zu erschaffen.
Windfields ist Teil einer fortlaufenden Arbeitsserie von Herman Kolgen. Das erste Projekt dieser Serie, „Urban Wind“ wird zum ersten Mal in Korea im Rahmen des „Incheon International Digital Art Festival 2010“ in Form einer Installation bestehend aus mehreren Akkordeons realisiert. Mittels an strategischen Punkten der Stadt (wie Kreuzungen, Brücken, Parks) angebrachten Sensoren wird die Geschwindig- keit und Richtung des Windes analysiert. Kabellos werden diese Daten auf die Instrumente über- tragen und durch die sich ständig verändernden harmonischen Windbewegungen entsteht ein euphonisches Klangfeld – die Besucher hören die Stadt atmen.
In Windfields erforscht Kolgen die Eigenschaften des Windes, Turbulenzen und Luftbewegungen, und übersetzt sie in sichtbare drei- dimensionale Muster. Momente eines simplen und natürlich wirkenden, freien Schwebens stehen dabei in Gegensatz zu generierten Algorithmen. Windfields nimmt die Betrachter/innen mit auf eine Reise durch die ungestümen Konvektionen der Luftströme und das künstlerische Spiel mit diesen. Die horizontale Ausrichtung der Installation wird zur visuellen Erweiterung der Landschaft.
Der multidisziplinärer Künstler Herman Kolgen beschreibt sich selbst als „audiokinetischen Bildhauer“, der mit den Werkzeugen Sound und Bild arbeitet. Kolgen kreiert seine Objekte in Form von Installationen, Video- und Film-Arbeiten, sowie Performances und Sound-Skulpturen. Digitales Video- und Fotomaterial wird in Bild- und Klangsequenzen umge- wandelt, aus denen der Künstler in einem künstlerischen Prozess modulare Gesamtkunstwerke schafft und schließlich audiophonische Raumsysteme generiert.
Von 1996 bis 2008 ist Herman Kolgen als Mitglied des Künstlerduos Skoltz_Kolgen zusammen mit Dominique T. Skoltz aktiv. Dabei erforschen die Künstler/ innen neue Prozesse und Techniken und deren expressive Möglichkeiten in den Medien Film, Fotografie, Sound Art und Installation. Skoltz_Kolgens audiovisuelle Kompositionen zielen dabei auf die Verbindung organischer und digital generativer Elemente und auf das Erschaffen neuer digitaler Hybride ab.
Herman Kolgen arbeitet mit unterschiedlichen Musikern und Komponisten im Bereich der elektronischen Musik wie etwa Taylor Deupree, AGF, Sawako und Akira Rabelais. Seine Arbeiten werden unter anderem bei der transmediale in Berlin, der Biennale in Venedig, beim Ars Electronica Festival in Linz sowie im Pariser Centre Georges Pompidou gezeigt und gewannen zahlreiche prestige- trächtige Preise wie den Qwartz oder den “Best Experimental Film Award from the Independent Film Festival of New York and Los Angeles”.
Seine Installationen können als „Verräumlichter Sound“ gesehen werden die durch den kontinu- ierlichen Wechsel von brutalen und fragilen Impulsen stark auf das Empfinden der Betrachter/ innen abzielt. Der hohe Immersi- onscharakter seiner Arbeiten und die Kombination digital-elektroni- scher mit organischen Bildwelten implizieren starke Spannungsmomente und wirken in intensiver Weise auf das Publikum ein. In sei- nem Performance-Video „Inject“, für welches er 2010 beim Prix Ars Electronica ausgezeichnet wird, untersucht Kolgen in einer emotional ergreifender und plastischer Art und Weise das Verhalten eines menschlichen Körpers in einer mit Wasser gefüllten Zisterne.
Jan Jelinek und Karl Kliem arbeiten seit 2001 gemeinsam an audiovisuellen Aufführungen und Werken. Basierend auf bereits vorbereiteten musikalischen Grundgerüsten von Jelinek werden bei mehrtägigen Treffen gemeinsam individuelle Bild-Ton Kompositionen erarbeitet. Den musikalischen Strukturen werden dabei minimalistisch- abstrakte visuelle Elemente entgegengesetzt, die in den Konzertsituationen improvisatorisch verwoben werden. Für die Ausstellung erstellen Jelinek und Kliem, mit technischer Unterstützung von Daniel Kohl, unter dem Arbeitstitel Neonlicht ein Video mit mehrspurigem Ton, das speziell an das Format der vorgegebenen breitformatigen Leinwand angepasst ist.
Die Arbeiten von Jan Jelinek befassen sich mit der Bearbeitung und Transformation von Klang und Musik, genauer mit einer Übersetzung populärer Musik in abstrakte und reduzierte Texturen. Dabei kommen keine traditionellen Musikinstrumente zum Einsatz, vielmehr werden Collagen aus winzi- gen Klangsamples konstruiert.
1998 werden die ersten Produktionen veröffentlicht; zunächst unter den Pseudonymen „Farben“ und „Gramm“. Im Jahr 2000 beschallen seine Sound-Collagen unter anderem den von der Designgrupe 3DeLuxe entworfenen Young Media Pavillion auf der EXPO 2000 in Hannover. 2001 veröffentlicht Jelinek erstmals unter seinem eigenen Namen das Album „Loop-Finding-Jazz- Records“ (~scape) basierend auf der Bearbeitung von Jazzaufnahmen. In den folgenden Jahren arbeitet Jan Jelinek mit Künstler/inne/n wie Sarah Morris (ICE-Compositions) und dem Autor Tho- mas Meinecke zusammen, kollaboriert mit dem japanischen Improvisationsensemble „Computer Soup“ oder dem australischen Jazztrio Triosk. Gemeinsam mit dem Videokünstler Karl Kliem führt er audiovisuelle Konzerte auf, die unter anderem im Centre George Pompidou Paris, der Transmediale Berlin oder dem sound:frame Festival 2008 zu sehen sind. 2007 gründet er mit Hanno Leichtmann und Andrew Pekler das Impro- visationstrio „Groupshow“, dessen Konzept jegliches vorgefertigtes und einstudiertes Repertoire ablehnt und sich gegen einen zeitlich begrenzten Aufführungsrahmen verwehrt.
2008 dann die Gründung des eigenen Musiklabel „faitiche“. Sechs Tonträger sind bislang veröffentlicht: Die Releases präsentieren unter anderem das bis dato noch unentdeckte früh elektronische Werk der Komponistin Ursula Bogner, deren Bio-graphie zwischen Fiktion und Realität changiert, oder setzen sich mit Thematiken wie Copyrightfragen auseinander.
Der multimediale Künstler Karl Kliem entwickelt unter dem Label „Dienststelle“ Konzert-Visualisierungen für Musiker aus dem Bereich der elektronischen Musik. Er studierte an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und ist Gründungsmitglied der Mediendesign-Gruppen „Involving Systems“ und „MESO – Digital Media Systems Design“ in Frankfurt.
Seine Musikvisualisierungen produziert und programmiert er speziell für die jeweiligen Musikstücke, behält sich jedoch die Freiheit, während der Konzerte in improvisatorischer Weise live einzugreifen und zu performen. Im Vorfeld werden dafür einzelnen Soundstrukturen visuelle Elemente zugeordnet, die über musikalische Parameter, wie zum Beispiel die Frequen- zanalyse, gesteuert werden. Karl Kliem versteht sich dabei weniger als VJ im klassischen Sinne, vielmehr zielt er darauf ab, die der Musik inherenten Bestandteile synästhetisch zu analysieren und sie auf die visuelle Ebene zu übersetzen. Karl Kliem arbeitet mit Musikern wie Alva Noto & Ryuichi Sakamoto, Jan Jelinek, Mouse on Mars, Sleeparchive, Thomas Brinkmann und anderen zusammen.
Die im Wiener MAK zu sehende audiovisuelle Arbeit Humming, Fast and Slow entwickelte Rainer Kohlberger eigens für das sound:frame Festival 2012. Die Projektion zeigt algorithmisch generierte, abstrakte Bildwelten, die einen hohen Grad an Immersion, ein völliges Eintauchen in den Raum, ermöglichen. Die Sehgewohnheiten der Betrachter/innen werden herausgefordert, wenn in einem Spiel aus Unschärfe und wabernden Flächen es allmählich unmöglich wird, den Blick zu fokussieren. Die projizierten Flächen und Bitmuster befinden sich in ständiger Modulation. Das eigene Wahrnehmungsfeld wird irritiert. Humming, Fast and Slow wirkt subtil in seiner Detailform, und zugleich energetisch puristisch in seiner räumlichen Erfahrung. In einer Fusion von Abstraktion und Digitalem kreiert Rainer Kohlberger seine unverkennbare Bildästhetik. Das konstante Driften von Formen wird mit nuancierten Bewegungen im Sound assoziiert – ein Wechselspiel aus Ton und digitaler Grafik.
Rainer Kohlberger lebt als freischaffender Videokünstler, Mediengestalter und Designer in Berlin. Seine Kunst basiert auf abstrakt erzeugten Bildern, die sich algorithmisch einer Geräusch-Ästhetik anpassen. Präsentiert werden seine Werke vorwiegend als Raum-Installationen und Live-Visualisierungen, bekannt ist er jedoch auch für seine mobilen Applikationen, wie etwa die 2011 mit dem ZKM App Art Award für künstlerische Innovation prämierte Arbeit „field“. Rainer Kohlberger hat bereits in New York, San Francisco, Prag, Barcelona, Warschau, Toronto und Paris ausgestellt und live performed.
Im Zeitalter der medialen Überflutung, kritisiert Rainer Kohlberger die manipulative Funktion digitaler, realitätsnachahmender Bilder. Als Kontrast setzt er den gewohnten Wahrnehmungsmustern seines Publikums abstrakte Formgebungen entgegen.
Leonhard Lass und Gregor Ladenhauf betiteln ihren aktuellen Arbeitszyklus „Perpetual Verge“. Dazu zählen auch die beiden 2011 realisierten A/V-Installationen „Delta Aurigae“ (im Auftrag von sound:frame) und „Glyph“ (im Auftrag des Artist in Residence Programms von subnet). So wie Depart mit ihrem Namen den stetigen Aufbruch zu neuen Ufern signalisieren wollen, steht diese Serie für die Berührungspunkte mit dem Ungewissen.
Ein permanentes Suchen, ein Her- antasten an das Unvorhersehbare, die Vermählung des Unbekannten mit gewohnten Umgebungen und die Auseinandersetzung mit Formaten und Größenordnungen soll diese Arbeiten kennzeichnen. Der Begriff „verge“ bezeichnet in der englischen Sprache auch einen verzierten Dachgiebel, und so verstehen es Depart, ihre Arbeiten sowohl von innen als auch nach außen mit kryptischer, teilweise aus dem Kontext ge- rissener Symbolik zu schmücken und aufzuladen.
Die Moderne hat das Ornament geradezu zum Verbrechen stilisiert, der Inbegriff von modernem Design ist bis heute das Schnörkellose, die kühle Zurückhaltung. Klarheit und Offenheit bestimmen den Ein- druck, der zurückbleiben soll.
Depart schätzen seit Beginn ihrer Zusammenarbeit die Über- forderung, die Überfrachtung mit Symbolen und Inhalten. Ein sehr verspielter Zugang wird immer wieder offensichtlich in der Rezeption ihrer Arbeiten. Depart kokettieren mit der Vorstellung des kollektiven Unbewussten, mit der Möglichkeit, willkürlich Querverweise herzustellen und neu zu kodieren, zu verlinken. Als Teil einer Generation die als erste mit dem Internet aufgewachsen ist, stellt die schiere Unmenge an verfügba- rer Information für Depart immer wieder eine willkommene Spielwiese dar. Umgekehrt pflegen sie dabei durchaus eine nahezu wissenschaftlich motivierte Gründlichkeit an den Tag zu legen und kein Stein bleibt auf dem anderen, wenn es darum geht einem neuen Themenkom- plex wie einem Golem Leben einzuhauchen.
Für die vorgegebenen Rahmen- bedingungen beim diesjährigen sound:frame mit dem thematischen Schwerpunkt „substructures“ haben sich Depart einem Motiv zugewandt, das, passend zum Thema, immer wiederkehrend in ihrer Arbeit zu finden ist. Unter dem Titel The Flood Panels ist eine audiovisuelle Arbeit zu sehen, die sich vorwiegend mit zyklischen Bewegungen auseinandersetzt. Die Gezeiten des Meeres stellen gemeinsam mit dem Lauf von Sonne und Mond und den Jahreszeiten (die natürlich regionalen klimati- schen Bedingungen unterworfen sind) eine der archaischsten Rhythmiken in der menschlichen Wahrnehmung abseits des eigenen Körpers dar. Gleichzeitig stellt die Flut als solche auch beinahe einen Antagonisten für die Substrukturen von Gebäuden und Siedlungen dar, die vom Menschen nahe oder im Wasser gebaut wurden. Sie umspielt und umspült, fordert die Strukturen stets von neuem zur Standhaftigkeit auf. Figurativ steht die Flut im biblischen Kontext für den Neubeginn und das gleichzeitige Überdauern einer auserwählten Gruppe von Spezies. Die thematische Nähe zu aktuellen Weltuntergangsszenarien darf hier durchaus als ironisches Au- genzwinkern verstanden werden.
Der Ozean selbst als Medium der Flut und Ursprung allen Lebens spielt in seiner Romantisierung und Urgewalt eine weitere große Rolle in diesem konstruierten Drama. So sehr die Meere in ihrer neuzeitlichen Nutzung als Inbegriff der Erholung genossen, als Hindernis für Datenverbindungen und Warenverkehr ausgelotet, als Nahrungsquelle ausgebeutet und als großer Mülleimer miss- braucht werden, stehen die Wassermassen seit jeher auch für das Unbekannte, die Ungeheuer aus der Tiefe und die Rache der Natur am respektlosen Vordringen des Menschen in alle Bereiche seiner Lebensumgebung. Tsunami-Katastrophen wie in Indonesien und Japan stehen fast schon an der Tagesordnung, wenig ver- wunderlich dass viele indigene Inselvölker dem Ozean traditionellerweise mit außergewöhnlicher Ehrfurcht gegenüberstehen.
In der Bearbeitung von Depart wird die Flut zum makro-rhythmischen Zeitgeber, dessen Perio- den paradox gespiegelt und von willkürlich programmatischen Entitäten zyklisch unterbrochen werden. Generative, abstrakte Formen mutieren fortwährend und stoßen in ihrer Evolution auf semantische Gebärden. Ein merkwürdiger Tanz, ein kanonischer Wechsel entsteht durch die verschachtelte Rhythmik und das Wechselspiel der Elemente, die sich in teils chaotischen Zusammenhängen gegenseitig bedingen. In ihrem inselartigen Dasein an der Schnittstelle zwischen „Über“ und „Unter“ befinden sich die Ob- jekte in einem seltsamen Limbo, der sie dazu motiviert, sich zu synchronisieren und Verbündete zu suchen, um stabiler zu werden und zur Ruhe zu kommen. Doch die Zeit mit ihrer oszillierenden Kraft macht ihnen dabei immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Den Betrachtern offenbart sich ein merkwürdiges Beziehungsdreieck aus Form, Bewegung und Veränderung.
Depart dirigieren die schiffbrüchigen Protagonisten in diesem digitalen Badewannen-Kammerspiel nach ihren Vorstellungen und schaffen damit ein Spannungsfeld von Reinkarnationen, Permutationen und dem vergeblichen Streben nach Stabilität der Empirie.
Leonhard Lass und Gregor Ladenhauf sind Depart.
Ihre Arbeiten bewegen sich im Spannungsfeld von Text, Bild und Ton und reichen von interaktiven Installationen über netzbasierte Applikationen bis zu raumgreifenden Perfor- mances und A/V-Live-Shows.
Depart schaffen mit ihrem Ansatz von Multimedia einzig- artige Momente, die von einer formal strengen und inhaltlich tiefgreifenden Ästhetik geprägt sind. Sie vereinen Präzision und Emotion zu einem abstrakten Ganzen mit vielen Facetten, die dem Publikum Fragmente der eigenen Erfahrung widerspiegeln sollen. Depart haben ein klares Ziel: unmittelbare und doch zeitlose Eindrücke zu hinterlassen.
Depart wollen stets aufbrechen, sich und das Publikum entfernen, je weiter von sich selbst und aus sich selbst heraus, desto besser. Zu diesem Zweck haben Lass und Ladenhauf den Weg der Verwirrung und Verschleierungstaktik gewählt. Täuschen und Tarnen, serviert auf dem Silbertablett.
Die Arbeiten von Depart wirken teils enigmatisch, sind oftmals durchaus bewusst düster und schillernd zugleich und ent- halten eine hochkonzentrierte Mischung aus virtuellen Mechaniken, poetischen Momenten und hermetischer Symbolik. Depart tragen die Idee Gesamtkunstwerk stets wie ein Banner allerdings hinter sich her, ungern verzichten sie auf ein gewisses Brimborium, das ihrer Meinung nach die Immersion erhöht.